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23.04.2021

Lieferketten: Wir brauchen verbindliche Sorgfaltspflichten für deutsche Unternehmen

Im Bundestag wurde diese Woche der Entwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes erstmals debattiert. Doch den Namen Sorgfaltspflicht verdient das Gesetz, das bekannter als Lieferkettengesetz ist, kaum. Denn es lässt viel zu wünschen übrig und muss dringend nachgebessert werden. Deutschland darf nicht länger hinter dem Stand der internationalen Diskussion zurückbleiben. Der Bundestag muss der Europäischen Union mit einem starken Sorgfaltspflichtengesetz den Rücken für verbindliche Regulierungen im europäischen Binnenmarkt stärken.

Nach monatelangem Ringen hat die Bundesregierung kurz vor dem Ende der Wahlperiode den Entwurf für ein „Gesetz zur Begründung unternehmerischer Sorgfaltspflichten zur Achtung der Menschenrechte und zum Schutz der Umwelt“ in den Deutschen Bundestag eingebracht. Erstmalig sollen damit verbindliche menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für deutsche Unternehmen gesetzlich festgeschrieben werden. Dieser Schritt bietet endlich die Chance, transnationales Wirtschaften in einer globalisierten Welt verbindlich an Menschenrechts- und Umweltstandards auszurichten. Das Gesetz kann zu einer Investition in die Zukunft werden, wenn wir es zu einem starken Gesetz machen.

Bereits vor zehn Jahren nahm der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ an. Ziel dieses Rahmenwerks ist es, Menschenrechtsverletzungen unter Beteiligung von Unternehmen zu verhindern und die Rechte betroffener Menschen zu stärken. Zentrale Elemente sind dabei fortlaufende und geeignete umwelt- und menschenrechtsbezogene Risikoanalysen, geeignete Präventionsmaßnahmen, wirksame Abhilfe- und Beschwerdemechanismen für die Betroffenen, angemessene Organisationspflichten, etwa Hinweisgebersysteme und Compliance-Strukturen, sowie die Dokumentation und Berichterstattung über die ergriffenen Maßnahmen.

In Deutschland wurden diese Leitprinzipien bisher nur durch freiwillige Vorgaben des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) umgesetzt. Doch Freiwilligkeit reicht nicht aus. Nach mehreren Unternehmensbefragungsrunden musste die Bundesregierung feststellen: Weniger als ein Fünftel der antwortenden Unternehmen erfüllten die Anforderungen.

Im Sommer 2020 stellten Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil dann Eckpunkte für ein verbindliches Sorgfaltspflichtengesetz vor. Darauf folgten wochenlange Blockaden durch Wirtschaftsministerium und Kanzleramt, die eine Einbringung der Eckpunkte ins Kabinett verhinderten. Ergebnis der zähen Auseinandersetzungen ist ein an vielen Stellen verwässerter Gesetzentwurf, der ein erster, aber viel zu zögerlicher Schritt auf dem Weg zu verbindlichen Sorgfaltspflichten für deutsche Unternehmen ist. Er hinkt sowohl den Debatten auf europäischer als auch auf internationaler Ebene hinterher.

So verzichtet die Bundesregierung auf ein elementares Instrument der Rechtsdurchsetzung: die zivilrechtliche Haftung. Dadurch bleibt es für Geschädigte nahezu unmöglich, erfahrenes Unrecht einzuklagen. Damit bleibt es beim Status quo, denn in der Praxis scheitern Klagen von Geschädigten, die häufig aus Ländern des globalen Südens stammen, vielfach aufgrund mangelnder Rechtsgrundlagen, an (zu) kurzen Verjährungsfristen oder an der Beweislast, die auf den Betroffenen liegt.

Gleichzeitig fallen nur sehr große Unternehmen unter das Gesetz. Das schränkt die Wirksamkeit des Gesetzesvorschlags massiv ein. Darüber hinaus wäre im Umweltbereich deutlich mehr drin gewesen. Auch werden die vollumfänglichen Sorgfaltspflichten auf den eigenen Geschäftsbereich und die direkten Zulieferer verkürzt. Damit bleibt die Bundesregierung noch hinter den verhandelten Vorgaben für einen Richtlinienvorschlag des Europäischen Parlaments über die Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen zurück. Dieser Richtlinienvorschlag wurde mit einer breiten Mehrheit der Fraktionen im Europäischen Parlament angenommen.

EU Justizkommissar Didier Reynders kündigte bereits an, im kommenden Juni einen Vorschlag zur Regulierung verbindlicher Sorgfaltspflichten für Unternehmen vorzulegen, der weiter gehen wird als der Entwurf der Bundesregierung. Daher sollte der Deutsche Bundestag der Europäischen Union mit einem starken Gesetzentwurf Rückenwind für dieses Vorhaben verschaffen. Die Regierungsfraktionen müssen deshalb den Gesetzesentwurf dringend nachbessern – damit Unternehmen Menschenrechte und Umweltschutz endlich auf die Kette bekommen. Und zwar auf die gesamte Lieferkette.