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14.09.2020

Öffentliche Anhörung: Arbeitszeit – flexibel, aber dokumentiert

Vor inzwischen mehr als 16 Monaten urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Arbeitszeit dokumentiert werden muss. Ein Antrag von uns fordert die Bundesregierung auf, dieses Urteil endlich umzusetzen und zugleich mehr Arbeitszeitsouveränität für Beschäftigte zu schaffen. In einer öffentlichen Anhörung wurde unser Antrag jetzt diskutiert. Unsere Sachverständige, Dr. Johanna Wenckebach, die wissenschaftliche Leiterin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, war dabei beeindruckend.

Ein Großteil der Anhörung drehte sich vor allem um die Umsetzung des EuGH-Urteils. Denn da herrscht bei den Rechtsgelehrten große Uneinigkeit. Einige der geladenen Sachverständigen gingen daher davon aus, dass es keinerlei Umsetzungsbedarf gebe. Viele dieser Experten betrieben reine Wortklauberei, denn im EuGH-Urteil heißt es, die Arbeitszeit müsse gemessen werden – und messen, so die Sachverständigen, sei nicht das gleiche wie aufzeichnen und dokumentieren.

Johanna Wenckebach ist da anderer Meinung. Der Sinn einer solchen gesetzlichen Regelung zur Dokumentation der Arbeitszeit, wie sie das EuGH-Urteil fordert, sei ganz klar, für mehr Transparenz und Rechtssicherheit zu sorgen. Und das sei nicht nur für die Beschäftigten wichtig, sondern letztlich auch für die Arbeitgeber. Immerhin betont auch der Europäische Gerichtshof, dass die Erfassung der Arbeitszeit dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten dient. Denn nur so lässt sich feststellen, ob Höchstarbeitszeiten nicht ausufern und die vorgeschriebene Ruhezeiten eingehalten werden. Außerdem hat die Arbeitszeiterfassung auch den Zweck der Beweissicherung und stellt so die Durchsetzung von ArbeitnehmerInnenrechten sicher.

Wenckebach machte sich als einzige der Sachverständigen auch explizit für mehr Zeitsouveränität stark. Denn  viele Menschen sind heute mit ihrer Arbeitszeit unzufrieden und das Verhältnis von Arbeitszeit und anderen Bedürfnissen wird umso stärker als unausgewogen empfunden, je länger die Arbeitszeit ist. Vor dem Hintergrund von Digitalisierung, demographischem Wandel und einem immer längeren Erwerbsleben, unzureichender öffentlicher Versorgung sowohl von Kindern als auch von pflegebedürftigen Angehörigen, aber auch der ökologisch getriebenen Transformation der Wirtschaft ist Arbeitszeit ein Schlüsselthema für die Arbeit der Zukunft. Es bedarf laut Wenckebach daher dringend eines Kulturwandels in der Arbeitswelt, weg von der nach wie vor geltenden Norm ununterbrochener langer Vollzeit, hin zu Arbeitszeiten, die modernen Erwerbsbiografien und den Anforderungen der Arbeitswelt mehr entsprechen.

Mit der Brückenteilzeit wurde zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht, um Arbeitszeitreduzierung nicht zu einer Einbahnstraße mit dauerhaften Nachteilen werden zu lassen. Doch bisher können viel zu wenige Frauen von diesem Recht Gebrauch machen, da die Schwellenwerte zu hoch sind. Und ein reines Erörterungsrecht, wie es das reformierte Teilzeit- und Befristungsgesetz jetzt vorsieht, reicht laut Wenckebach nicht aus, um die Lage der eigenen  Arbeitszeit stärker mitbestimmen zu können. Daher hat sie unseren Antrag inhaltsstark unterstützt.

Hier kann die lesenswerte Stellungnahme von Dr. Johanna Wenckebach nachgelesen werden.

Antrag: Arbeitszeit – Urteil des Europäischen Gerichtshofs umsetzen, mehr Zeitsouveränität ermöglichen