Inhalt

16.11.2020

Bevölkerungsschutz in Zeiten der Pandemie

Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf für ein drittes Bevölkerungsschutzgesetz in den Bundestag eingebracht. Seither steht das Telefon kaum still und inzwischen sind weit mehr als tausend Mails angekommen. Ja – die Corona-Pandemie ist eine große Herausforderung für unsere demokratische Gesellschaft. Deshalb wollen wir gesetzliche Veränderungen und dafür setzen sich gerade unsere Fachpolitiker:innen im parlamentarischen Verfahren ein. Gleichzeitig bin ich zutiefst davon überzeugt, dass wir die unkontrollierte Ausbreitung des Virus stoppen müssen – zum Schutz der Menschen und damit unser Gesundheitssystem nicht kollabiert.

Die meiste Post, die ich gerade erhalte, sind mehr oder weniger identische Massenmails. Viele vermuten, die Regierung plane hier ein neues Ermächtigungsgesetz. Heute ist aber nicht 1933. Und dieses Gesetz gilt explizit dem Schutz unserer Bevölkerung in Zeiten einer weltweiten Pandemie. Wer glaubt, hier würden Grundlagen für eine Diktatur geschaffen, der sitzt einer Verschwörungstheorie auf. Denn wir leben im Jahr 2020 und unsere Demokratie ist stark.

Die Corona-Pandemie ist für uns alle eine schwierige Zeit und sie ist auch eine große Herausforderung für unsere demokratische Gesellschaft. Wir alle – auch ich – wünschen uns, dass wir so schnell wie möglich wieder zu unserem gewohnten Leben zurückkehren können. Die Einschränkungen zum Schutz der Gesundheit sind weitrechend und belasten. Doch sehe ich auch mit großer Sorge, wie sich die COVID 19-Pandemie in Deutschland und in unseren Nachbarstaaten in Europa entwickelt. Die positiven Testergebnisse steigen. Die Gesundheitsämter können inzwischen die Infektionsketten kaum noch nachverfolgen. Und Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen warnen, dass auch in Deutschland das Gesundheitswesen sehr stark belastet wird. Denn die Zahl der COVID 19-Erkrankten in den Krankenhäusern nimmt dramatisch zu und auch die Zahl der Patientinnen und Patienten, die eine Intensivbehandlung benötigen.

Die unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus muss gestoppt werden. Nur so können wir die steigenden Zahlen der an Covid-19 Erkrankten wieder eindämmen. Denn unser Gesundheitssystem darf nicht kollabieren. Und es muss unbedingt verhindert werden, dass bei uns Zustände wie bereits in Belgien entstehen, dass Ärztinnen und Ärzte und die Pflegekräfte in unseren Krankenhäusern in eine Lage kommen, in der sie es nicht mehr schaffen, alle Erkrankten zu behandeln.

Natürlich dürfen gravierende Einschränkungen, wie sie jetzt der zweite Lockdown mitbringt, nicht mehr auf dem Wege von Verordnungen beschlossen werden. Wir brauchen eine ausreichend bestimmte gesetzliche Grundlage im Infektionsschutzgesetz, über die der Bundestag als Gesetzgeber entscheidet. Der vergangene Woche von den Regierungsfraktionen eingebrachte Vorschlag eines Dritten Bevölkerungsschutzgesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist allerdings nicht die geeignete gesetzliche Grundlage. Denn der darin enthaltene neue Paragraph 28a IfSG hält unserer Meinung nach einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat daher einen Antrag in den Bundestag eingebracht (BT-Drs. 19/23980), mit dem wir präzisieren, wie eine solche gesetzliche Grundlage im Infektionsschutzgesetz aussehen muss. Wir sind unter anderem der Auffassung, dass es eine klare Verknüpfung zwischen dem Infektionsgeschehen und möglichen Eingriffen in Grundrechte geben muss. Der Zweck, die Bedingungen und die Grenzen solcher Eingriffe müssen klar definiert sein. Außerdem müssen die Abgeordneten des Bundestages dauerhaft Zugang zu wissenschaftlicher Expertise haben, um die Bekämpfung der Pandemie auf evidenzbasierter Grundlage begleiten zu können. Dafür wollen wir einen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zusammengesetzten Pandemierat einsetzen.

Der geplante neue Paragraph 28 a im Infektionsschutzgesetz erfüllt diese Voraussetzungen unserer Meinung nach nicht. Wir werden daher das parlamentarische Verfahren nutzen, um entsprechende Änderungen einzufordern. Unser Ziel ist es dabei nicht, das Grundgesetz einzuschränken, sondern den Zweck, die Bedingungen und die auch zeitlich befristeten Grenzen von möglichen Eingriffen aufgrund der Corona-Pandemie klar und transparent zu definieren.