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02.09.2021

Input bei der Betriebsrätekonferenz der Gewerkschaft DPVKOM

Die Gewerkschaft DPVKOM hatte mich für einen Input und zum Diskutieren zu ihrer Betriebsrätekonferenz eingeladen. Es nahmen rund 100 Betriebsratsmitglieder und Gewerkschafter:innen, hauptsächlich aus den Bereichen Post, Telekom und Callcenter, teil. Für mich war es eine schöne Gelegenheit, in den Austausch zu treten und Grüne Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu erläutern. Es war eine spannende Diskussion.

Aspekte aus meinem Input:

Jede Arbeit hat ihren Wert. Arbeit muss fair entlohnt werden. Die Beschäftigten sollen gut von ihrer Arbeit leben können. Das ist sozusagen die Kurzform, warum mir die Arbeitsmarktpolitik so wichtig ist. Fakt ist aber, dass 20 bis 25 Prozent der Arbeitsplätze prekär sind. Aus grüner Sicht ist das eine dramatische Entwicklung. Befristungen, Leiharbeit, niedrige Löhne und Werkverträge sind traurige Realität. Wenn der Stundenlohn in Callcentern sehr unterschiedlich ist und Angestellte von Leiharbeitsfirmen noch weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen, dann spiegelt der Lohnzettel alles Mögliche, aber sicher nicht den eigentlichen Wert der geleisteten Arbeit. Und wenn Menschen immer und immer wieder nur befristete Jobs bekommen, oder gar als Abrufkräfte missbraucht werden, dann wird jegliche Lebensplanung unmöglich gemacht. Sozialer Schutz sieht für uns Grüne anders aus.

Für uns Grüne gilt: Jede Arbeit hat ihren Wert und muss angemessen entlohnt werden. Arbeit muss aber auch soziale Sicherheit und Lebensplanung ermöglichen und ganz wichtig: Arbeit braucht auch gesellschaftliche Anerkennung, Wertschätzung und Respekt. Eingelöst wird dieser Anspruch nur durch „gute Arbeit“ – bei der die Arbeitsbedingungen stimmen. Wir unterstützen deshalb die Gewerkschaften in ihren Forderungen nach einer Stärkung der Arbeitnehmer:innenrechte und sehen dies als einen Schwerpunkt unserer grünen Politik.

Und damit bin ich bei vier konkreten Themen, wo wir Handlungsbedarf sehen und was wir aus grüner Sicht verändern wollen.

  1. Beim gesetzlichen Mindestlohn besteht Handlungsbedarf. Er ist zu niedrig gestartet. Er schützt nicht vor Armut. Häufig müssen Vollzeitbeschäftigte zusätzlich aufstockende Leistungen beantragen. Deshalb muss der Mindestlohn erhöht werden – einmalig – ein großer Schritt auf 12 Euro. Denn die Menschen sollen von ihrer Arbeit leben können.

Der Mindestlohn ist aber nur die unterste Haltelinie. Wir wollen, dass möglichst viele Beschäftigten von Tarifverträgen profitieren. Denn wir wissen Beschäftigten mit Tarifvertrag haben bessere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Deshalb wollen wir die Tarifbindung stärken. Wir fordern ein Bundestariftreuegesetz. Wir wollen die AVE erleichtern und die Veto-Möglichkeit im Tarifausschuss beseitigen. Und wir wollen die Tarifflucht bei Betriebsübergängen verhindern. Und ganz wichtig ist ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften.

  1. Die Reform der sachgrundlosen Befristung war die große arbeitsmarktpolitische Versprechung im Koalitionsvertrag der Großen Koalition für diese Legislaturperiode. Passiert ist aber nichts, denn ein Referentenentwurf aus dem BMAS kam nie im Bundestag an. Sachgrundlos – also willkürlich zu befristen, ist nicht notwendig, denn es gibt genügend sachliche Gründe, die eine Befristung ermöglichen. Deshalb wollen wir die sachgrundlose Befristung komplett abschaffen.
  2. Die Corona-Pandemie hat zu einem Digitalisierungsschub in der Arbeitswelt geführt. Auf einmal ging es um Homeoffice – davor war es ein Privileg für Wenige. Homeoffice wurde zum Infektionsschutz genutzt von den Beschäftigten und auch von Unternehmen. Jetzt kennen wir die Vorteile und Nachteile. Jetzt müssen wir das Wissen nutzen. Homeoffice und mobiles Arbeiten geht natürlich nicht bei allen Tätigkeiten. Und auch nicht alle Beschäftigten wollen mobil arbeiten. Aber mindestens 30 Prozent der Beschäftigten wollen mehr Zeitsouveränität. Für sie bedeutet mobiles Arbeiten mehr Freiheit und Selbstbestimmung, und dass Arbeit besser in ihr Leben passt.

Deshalb ist es an der Zeit, dass die Beschäftigten, die mobil arbeiten können und wollen, mit einem Rechtsanspruch gestärkt werden. Aber natürlich braucht es dafür klare Regeln. Homeoffice und mobiles Arbeiten muss immer freiwillig sein, verbunden mit einem Rückkehrrecht, wenn die Beschäftigten merken, dass für sie die mobile Arbeit nicht das Richtige ist. Homeoffice soll auch immer nur alternierend sein – als Ergänzung zum festen Arbeitsplatz. Denn die Beschäftigten dürfen nicht „unsichtbar“ werden, wenn es um Weiterbildung oder Aufstiegsmöglichkeiten geht. Und natürlich gilt auch im Homeoffice das Arbeitszeitgesetz. Denn auch jede mobile Arbeitsstunde muss entlohnt werden. Homeoffice darf auch nicht grenzenlos werden. Und deshalb muss auch mobile Arbeitszeit dokumentiert werden. Alle Aspekte bei Homeoffice müssen eindeutig geregelt werden. Denn so erhalten die Beschäftigten Schutz. Und die Unternehmen Sicherheit im Umgang mit Homeoffice und mobilem Arbeiten. Beides ist notwendig.

  1. Betriebliche Mitbestimmung ist gelebte Partizipation und Demokratie. Die Mitbestimmung macht die Wirtschaft demokratischer. Es ist wichtig, dass Beschäftigte sich einmischen, mitreden und ihre Arbeitswelt aktiv mitgestalten. Und wenn ihre Anliegen gehört werden und wenn sie sich vom Betriebsrat gut vertreten fühlen, dann entsteht das Gefühl von Wertschätzung und das stärkt auch den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Mitbestimmte Unternehmen kommen auch besser durch Krisen – die Bankenkrise 2008/2009 ist dafür ein Beispiel. Und auch die Corona-Pandemie hat mich nochmals bestärkt: Krisen müssen gemeinsam und solidarisch bewältigt werden und deshalb ist die Mitbestimmung für uns Grüne so wichtig. Aber – die Mitbestimmung ist unter Druck. Drei Aspekte, warum und wie wir die Mitbestimmung stärken wollen:

  1. Es braucht mehr Schutz für Betriebsräte. Betriebsratsarbeit wird behindert und Betriebsratswahlen werden verhindert. Und die Mittel, die da eingesetzt werden, sind teilweise heftig. Aktive Beschäftigte werden eingeschüchtert, bedroht, gemobbt, abgemahnt und teilweise gekündigt. Das ist Union Busting – hier geht es um gewerkschaftsfeindliche Tendenzen. Und das darf es nicht geben. Und deshalb brauchen die Betriebsräte mehr Schutz.

Die schwierigste Zeit ist, wenn sich Beschäftigte auf den Weg machen, um einen Betriebsrat zu gründen vor allem wenn die Betriebe das verhindern wollen. Deshalb haben wir bereits 2014 im Bundestag gefordert, dass diese aktiven Beschäftigten ihr Vorhaben bei einer neutralen Stelle ankündigen können und dann Schutz bekommen. Dieser Gedanke wurde jetzt – nach 7 Jahren – im Betriebsrätemodernisierungsgesetz aufgenommen. Das hat mich sehr gefreut.

  1. Es gibt Branchen und Betriebe mit hohem Befristungsanteil und da sind dann auch viele befristet Beschäftigte im Betriebsrat. Aber genau sie müssen häufig als erste gehen und das macht dann eine Betriebsratsarbeit extrem schwierig. Deshalb sollen die befristet angestellten Betriebsräte den gleich Schutz erhalten wie Auszubildende. Sie sollen entfristet werden. Denn die Arbeit der Betriebsräte lebt von Kontinuität.
  2. Wenn Betriebsräte behindert oder Wahlen verhindert werden, dann sind das Straftaten nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz. Und doch haben diese Arbeitgeber in der Regel nichts zu befürchten. Das geht gar nicht – es darf keine rechtsfreien Räume geben. Hier muss endlich etwas getan werden. Und deshalb fordern wir, dass § 119 zu einem relativen Antragsdelikt wird, damit Staatsanwaltschaften selber ermitteln können. Denn das Verhindern von Betriebsräten ist kein Kavaliersdelikt.
  3. Die Digitalisierung verändert nicht nur die Prozesse in den Unternehmen, sondern auch die Tätigkeiten und Anforderungen und sie hat auch Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation. Und wenn sich die Beschäftigten an diesem digitalen Wandel aktiv beteiligen können, wenn sie ihr Wissen einbringen können, werden Risiken minimiert und Chancen besser genutzt. Die Mitbestimmung aber orientiert sich nach wie vor an einer analogen Arbeitswelt und muss deshalb an die digitale Arbeitswelt angepasst werden. Es muss wieder Augenhöhe hergestellt werden. Denn der digitale Wandel gelingt zusammen mit den Beschäftigten besser.

Durch die Digitalisierung werden sich die Tätigkeiten verändern und damit wird auch hier das Thema Qualifizierung und Weiterbildung enorm wichtig. Deshalb fordern wir ein starkes Mitbestimmungsrecht bei der Weiterbildung und bei der qualitativen Personalentwicklung. Es muss vorausschauend und gut überlegt sein, wie sich die Anforderungen durch den digitalen Wandel im Unternehmen verändern. Durch die Digitalisierung ist Arbeit häufig nicht mehr an Zeit und Ort gebunden. Und so entstehen neue Freiheiten, um bspw. Arbeit und Familie besser zu vereinbaren. Aber gleichzeitig kann auch Arbeit mehr entgrenzen. Die psychischen Belastungen können zunehmen. Es geht also um die Menge der Arbeit – um das Thema Erreichbarkeit – um Homeoffice und mobiles Arbeiten. Und auch dafür muss die Mitbestimmung gestärkt werden. Denn von der Digitalisierung sollen alle profitieren – die Wirtschaft und auch die Beschäftigten.

  1. Auch die Unternehmensmitbestimmung ist in der Defensive. Zu viele Unternehmen vermeiden die Mitbestimmung im Aufsichtsrat durch die geschickte Wahl der Rechtsform. Andere wiederum ignorieren ganz einfach die Unternehmensmitbestimmung. Und beides geht gar nicht. Die Flucht aus der Mitbestimmung im Aufsichtsrat muss gestoppt werden. Die Begründung dafür ist ganz einfach. Bei der Mitbestimmung müssen für alle Unternehmen die gleichen Rahmenbedingungen und für alle Beschäftigten die gleichen Mitbestimmungsrechte gelten. Auch die Unternehmensmitbestimmung ist gelebte Demokratie. Und um diese Teilhabe im Unternehmen sicherzustellen, müssen die Lücken bei der Mitbestimmung geschlossen werden.

Egal ob Stiftung, englische ausländische GmbH & Co KG, europäische Aktiengesellschaft (SE) – die Mitbestimmung muss überall gelten. Sanktionen sind notwendig, wenn ein Aufsichtsrat nicht gegründet oder nicht paritätisch besetzt wird. Wir wollen auch die Unternehmensmitbestimmung insgesamt stärken, indem wir den Schwellenwert bei der  paritätischen Mitbestimmung auf 1.000 Beschäftigte absenken wollen. Außerdem fordern wir ein Schlichtungsverfahren, wenn es um Entscheidungen geht, von denen die Beschäftigten besonders betroffen sind – also bei Betriebsschließungen, Verlagerungen. So können Perspektiven für die Beschäftigten und für das Unternehmen gleichermaßen entwickelt werden. Und genau das wäre dann für beide Seiten tatsächlich fair.

Gerade bei der Mitbestimmung muss viel passieren. Hier müssen wir dicke Bretter bohren. Wir haben das im Wahlprogramm prominent aufgenommen.